Lebensberichte & Familienchroniken
Carl Theodor Gotthilf Wüst
(1808 - 1876)
Pfarrer zu Pröbbernau
auf der Nehrung und zu Güttland, Danziger Niederung
- Lebensbericht
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12.2019
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Zuerst besuchte ich die St. Johannea-Schule; damals unter
Leitung des Oberlehrer Bihn, der meinem Vater den Rath gab, mich
studieren zu lassen. 1820 kam ich ins Gymnasium und zwar nach Quinta.
Der Direktor war damals Prof. Meinecke, Ordinarius von Quinta Prof.
Herbst. Eingesegnet wurde ich 1823 vom Archidiaconus Grahn in der St.
Catharinen Kirche.
Ich beschäftigte mich schon früh mit
Privat-Unterricht und hatte immer die Freude, daß meine Schüler mit
großer Liebe an mir hingen.
Meine Bekanntschaften waren sehr
ausgebreitet. In viele feine Zirkel hochgestellter Familien verschaffte
meine Stimme mir Eingang. Ich sang Tenor und wurde als Sänger vielfach
bevorzugt. Um Michaelis 1828 verließ ich, nach abgelegten
Abiturienten-Examen unter dem Direktor Prof. Schamb, mit dem Prädikate
"gut mit Auszeichnung" die Schule und ging zur Universität Halle. Hier
hörte ich die berühmtesten Professoren, darunter |
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namentlich Gesenius,
Tholuck, Ullmann. Die Ferien benutzte ich fast regelmäßig zu
interessanten Fußreisen. Ich lernte den größten Theil des deutschen
Vaterlandes kennen und durchwanderte die schönsten Gebirge mit ihren
Höhen und Tälern. (Harz, sächsische Schweiz, Erzgebirge, Riesengebirge,
Thüringer Wald, Schwarzwald, Odenwald u.s.w.)
Als Sänger wirkte ich in den meisten größeren
Musikaufführungen mit und wurde auch vielfach in Familienkreise gezogen.
Ich studierte zwei Jahre in Halle. Michaeli 1830 ging ich nach Berlin
und hörte hier
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Karl Gesenius
August Tholuck
Carl Christian Ullmann |
Schleiermacher, Neander und Strauß. Um Michaeli 1831
kehrte ich in meine Vaterstadt zurück und übernahm sehr bald den
Unterricht von Kindern sehr angesehener Häuser. Das erste Examen machte
ich im Januar 1832 in Danzig und erhielt das Prädikat "sehr gut". Das
zweite Examen pro ministerio machte ich schon in dem selben Jahre 1832
um Michaeli in Königsberg und erhielt ebenfalls ein sehr gutes Zeugnis.
Ich predigte oft in den Kirchen Danzigs. Meine erste Predigt hatte ich
in Spandau gehalten, die zweite im Dom zu Berlin.
1833 den 1. März wurde ich vom Danziger Magistrate zum
Pfarrer von Pröbbernau und Neukrug erwählt. Den 13. Mai 1833 wurde ich
in der St. Marien-Kirche von Consistorialrath Bresler ordiniert. Den
9ten Juni 1833 am S. p. Trin. wurde ich in Pröbbernau durch
Superintendent Dr. Linde feierlich eingeführt und hielt meine
Antrittspredigt über "1. Corinth. II. V. 1-5" in Neukrug d. 16. Juni.
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Friedrich Schleiermacher
August Neander
Friedrich Strauß |
Pröbbernau und Neukrug auf der Frischen Nehrung
Enrtfernung ca. 20 km |
Den 6ten März 1833 hatte ich mich verlobt mit der
Jungfrau Laura Friederike Hoffert, älteste Tochter des kürzlich
verstorbenen Justizraths Hoffert in Danzig. Unsere Vermählung war 1833
den 21. Mai. Dr. Linde traute uns. An diesem Tage zogen wir nach
Pröbbernau. Meine Frau war ebenso ausgezeichnet durch körperliche
Schönheit als durch Liebenswürdigkeit des Charakters und Frömmigkeit des
Herzens. Sie erfreute sich einer allgemeinen Liebe. Unsere Ehe war wohl
eine der glücklichsten, die hienieden geführt worden sind. Wir hatten
einen Himmel auf Erden. Die Mutter meiner Frau war auch schon, als ich
sie kennenlernte, gestorben.
Meine Eltern und Geschwister sowohl, als die Geschwister
meiner Frau besuchten uns von Zeit zu Zeit in Pröbbernau. Am 29. Mai
1834 wurde meine liebe Frau von einem gesunden Söhnchen glücklich
entbunden. Das Kind wurde den 6ten Juli a. g. getauft und erhielt die
Namen Carl Johannes Theodor.
Nach Gottes unerforschlichem Rathschlusse sollte das
Glück unserer Ehe nicht lange währen! Meine Frau, sonst das Bild der
Gesundheit und in schönster Blüthe und am 9. November 1834 erst 22 Jahre
alt, erkrankte plötzlich d. 28. Septbr. 1834. Es entwickelte sich aus
der Krankheit die Auszehrung, an der auch die Mutter meiner Frau
gestorben war. Mit wahrhaft christlicher Ergebung in den Willen des
himmlischen Vaters ertrug sie auf ihrem Krankenlager die schwere
Prüfung. Im lebendigen Glauben an den Heiland überwand sie auch ihr
Kreuz; noch am Tage ihres Todes legte sie ein herrliches Bekenntnis
ihres Glaubens ab. Sie empfing auf ihren Wunsch aus meinen Händen das
heilige Abendmahl. Sie starb sanft und selig im Herrn mit vollem Bewußtsein am Mittwoch d. 26. November 1834 um 12 Uhr mittags. Unsere
Ehe hatte nur 1 ½ Jahre gewährt. Den 2ten December wurde sie feierlich
auf dem Kirchhofe zu Pröbbernau begraben.
Die Geschwister meiner Frau waren: 1.) Hermann, der
später Dr. med. wurde, 2.) Heinrich, der später nach Frankreich und
England ging und dann ganz verschollen war, 3.) Marie, später an den
Hofbesitzer und Oberschulz Gertz in Käsemark. verheiratet, 4.) Hermine, später an
einen Gutsbesitzer in Pommern verheiratet.
Unser einziges Söhnchen, hatte Gott beschlossen, auch
bald seiner Mutter in das bessere Jenseits nachfolgen zu lassen. Das
sehr hübsche und stets kerngesunde Kind erkrankte 1835 im April am
Zahnen und starb d. 22ten April morgens um 5 Uhr; 11 Monate alt. So
hatte denn Gott nach seinem wunderbaren Rathe die theuern heiligen
Bande, die er vor so kurzer Zeit um mein Herz geknüpft hatte, wieder
zerrissen. Mein Leben kam mir vor wie ein Traum. Es war mir zu Muthe als
ob Gott mir einen Engel gesandt, der mir ein himmlisches Glück gezeigt,
eine kurze Strecke mit mir gewandert, dann aber plötzJich wieder
verschwunden sei und mich allein gelassen habe.
Sterbeeintrag für Laura Friederike Wüst, geb.
Hoffert, † 26.11.1834,
im Kb Pröbbernau - Neukrug
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In jener trüben Zeit der Prüfung stand mir treu und
liebreich zur Seite meine einzige geliebte Schwester Amalia Bertha
Charlotte, zwar erst 14 Jahre alt, aber verständig und zuverlässig. Sie
zog zu mir, wurde meine Konfirmandin und auch von mir im Oktober 1835
eingesegnet. Ich hatte den Schmerz, diese einzige mir so theure
Schwester schon frühe zu verlieren. Sie erkrankte im September 1839 am
Nervenfieber und starb – 19 ½ Jahre alt - in Danzig im elterlichen Hause
den 27. September a. ej. Ihr Tod war ein seliger; sie hatte sich ganz
dem Herrn ergeben und ihr letztes Wort war der Spruch, mit dem ich sie
eingesegnet hatte Apoc. II, 10.
Im Jahre 1835 den 5ten November vermählte ich mich zum
zweiten Male mit Jungfrau Mathilde Pauline Bulcke, Tochter des
Hofbesitzers in Güttland und Fleischermeisters in Neufahrwasser, sowie
Großbürgers in Danzig: Johann Gottfried Bulcke und seiner Ehefrau
Pauline, geb. Remling, beide evang. Conf. Meine Frau ist geboren zu
Danzig 1810 den 8. März. Es bestand schon in früher Jugend zwischen uns
eine innige Zuneigung, die sich bis zur zärtlichsten, schwärmerischen
Liebe steigerte. Trübe Verhältnisse waren hindernd in den Weg getreten
und der so fest geschlossene Liebesbund unserer Herzen wurde zerrissen
und schien nun für immer aufgelöst zu sein. Gott hatte es anders
beschlossen; wir sollten wieder vereinigt werden und zwar für das ganze
Leben. Unsere Ehe ist eine ununterbrochene, nie gestörte, wunderbare
Harmonie der Herzen und es ist eine glücklichere Ehe schwer denkbar.
Gottes reichster Segen hat über derselben immerdar gewaltet. Vor
schweren und langen Krankenlagern sind wir gnädiglich bewahrt geblieben,
wir haben uns einer kräftigen dauernden Gesundheit zu erfreuen stets das
Glück gehabt.
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Pfarrer Carl Theodor Gotthilf Wüst
und Pauline Mathilda Bulcke
Die obigen Bilder sind vermutlich von um 1870,
das untere könnte etwas älter sein |
Nur selten und auf kurze Zeit ist dies Glück gestört
worden. Auch sonstige schwere Heimsuchungen hat Gott bis jetzt von uns
ferngehalten; namentlich haben wir bis auf diese Stunde noch nie
Nahrungssorgen kennen gelernt. Ohne eigentliches Vermögen zu besitzen,
haben unsere Einnahmen immer ausgereicht, die vielen, von Jahr zu Jahr
steigenden Bedürfnisse zu befriedigen, und bei mässigen Ansprüchen,
einer festgeregelten Wirthschaft und einer praktisch ökonomischen
Einrichtung haben wir stets ein höchst anständiges Leben führen können.
Dabei haben wir die Pflicht der Gastfreundschaft immerdar mit Freuden
erfüllt und auch der Armen nicht vergessen. Meiner Frau rühme ich es
gerne nach, daß sie mit einer nicht zu ermüdenden Rüstigkeit, mit
ungetrübter Heiterkeit, mit einer seltenen Umsicht und mit praktischen
Sinne ihrem Hauswesen vorgestanden hat. Was aber viel höher steht, ist
ihre christliche Frömmigkeit und ihre innere Hingabe an den Herrn Jesum
Christum, den Bringer alles Heiles, den Tilger aller Schuld. Dieser
Glaube läßt sie stets nachsichtig sein bei den Schwächen Anderer; ein
Streit im Hause mit den Dienstboten gehört zu den größten Seltenheiten;
in der Regel bleiben die Dienstboten viele Jahre bei uns und scheiden
dann unter vielen Thränen aus unserem Hause. Auch ist meine Frau
immerdar eine Pflegerin der Armen und Kranken gewesen.
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Ausschnitt aus der Genealogischen Karte "Westpreussen
Nord"
mit freundlicher Genehmigung von Fritz Schulz - mehr
Güttland / Koźliny - Danzig / Gdansk ca. 33 km |
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