Nana Glen, Australien
Barackenlager Berlin-Lichtenrade
Gestern wäre Irma Ellas 100-ster
Geburtstag gewesen. Wir
werden unaufhaltsam älter. Prost neues Jahr!
Weiterhin kann ich berichten, dass mein
"Kanu" in Berlin an Land gestoßen ist. Und zwar in Berlin -Lichtenrade.
Noch genauer: Im Barackenauffanglager hinter Stacheldraht und festem
Tor.
"Turm um uns sich türmt,
Tod dem, der dich schuf,
besser wäre Glass,
helles klares Glass.
Wiehernde Pferde stampfen die Erde,
warten auf Reiter, warten auf Sieg"
… und so weiter.
Lied der "Deutschen Jungenschaft", der wir
irgendwann angehörten.
Da standen wir denn in der Mitte unserer
Barackenbleibe. Ein nicht zu kleiner Raum in ganzer Breite der Baracke.
Die Türe an der Seite führte direkt in die Mitte des Raumes.
Da waren dann Stockwerksbetten entlang der
linken Wand, und die bezogen wir. An der rechten Wand befanden sich
gleiche Betten, und diese wurden von einer jüngeren polnischen Familie
bewohnt (glaub ich). Die Betten waren aus Holz mit Latten und
Strohsäcken darauf. Wir hatten Decken.
Auch, glaube ich, war da ein Tisch in der
Mitte und Bänke. Dann war da noch ein dünnwandiger Kanonenofen, der sich
sehr schnell erhitzen ließ und auf dem man sogar ein bisschen kochen
konnte. Das war’s also für die unbekannte Zukunft.
Was wir so an privaten Dingen hatten,
versteckten wir unter unseren Strohsäcken.
Ich muss berichten, dass Irma Ella beim
Überschreiten der Grenze ins Reich uns Kinder ins Gebet genommen hatte.
"Kinder!! Wir sind jetzt nicht mehr in Polen! Wir sind in Deutschland.
Wir haben eine Regierung. Und wir haben Kaufläden und Bäcker und ein
normales Leben. Wir werden von der Regierung verpflegt und bekommen
sogar etwas Geld!! SOOO!!! Von jetzt an sind wir wieder ehrliche
Menschen! Nichts wird mehr gestohlen, geklaut oder organisiert!!! HABT
IHR DAS BEGRIFFEN!!???" "Ja, Mama!!"
Hier will ich etwas vorauseilen. Es
dauerte nicht lange, bis wir auch in die Stadt gehen durften und auch in
Läden. So vergesse ich nie, wie Irma Ella mit mir in einen Bäckerladen
eintrat. Es war alles sehr ärmlich und leer darin. Während wir warteten,
bedient zu werden, zupfte ich Irma am Ärmel, deutete auf ein fast leeres
Regal und flüsterte, "Mutti, kuck mal, da liegt Hefe im Regal".
"Untersteh dich!" war Mutters drohende Antwort.
Na gut, muss ich wohl gedacht haben.
Zurück auf der Strasse holte ich nach ein paar Schritten die Hefe aus
der Tasche und zeigte sie stolz vor!!! Es war niederschmetternd!! Mutter
wusch mir auf offener Strasse und mit Lautstärke den Kopf, nahm mich bei
der Hand und es ging zurück zum Laden. Mutter erläuterte öffentlich
meine schreckliche, verbotene Tat. Ich legte die Hefe zurück und
entschuldigte mich unter Tränen.
Für die Zukunft habe ich dann begriffen,
dass, wenn man mal was klaut, dann ist es besser, den Mund zu halten
oder das Blaue vom Himmel zu lügen.
– Ich habe überlebt,
aber nur gerade noch!
Hier unterbreche ich. Vielleicht sogar
endgültig für heute. Bis bald dann.
05.12.2008
Barackenlager Berlin-Lichtenrade II
Nun will ich schreiben. Habe mit Hans
gesprochen. Weiß nun, dass ich schreiben möchte. Nicht für alle und
jeden, doch für mich selbst und ein paar Leutchen, die mir wichtig sind
oder besser, geworden sind.
Also, gerade bin ich in Berlin-Lichtenrade
hinter Zäunen und in gewisser Sicherheit. Wir alle sind es! Ernst ist
im Krankenhaus, da er unterernährt und wassersüchtig ist.
Opa Willi ist auch in Sicherheit,
denn er starb am 01. November 1945 kurz nach unserer Ankunft in Berlin.
Ich bin sicher, dass er sich das zu jenem Zeitpunkt seines Lebens sehr
gewünscht hat.
Wir waren also im Lager. Langeweile war
gegenwärtig. Selbst ich lernte Strümpfe mit Stolz und Freude zu stopfen.
Kunststopfer nannte ich mich wohl oder dachte es zu sein. Zu stricken
habe ich angefangen, doch nie beendet. Ich weiß nicht, wie lange das
alles gedauert hat.
Der Lagerleiter mochte uns. Da bin ich mir
sicher. Wir bekamen täglich unser amerikanisches Weißbrot und Milch.
Sogar heute noch muss ich gestehen, dass das Weißbrot einfach wie
Rapunzels Haar war. Es war da und da, aber es rettet dich nicht vom
Klettern ohne Erfolg. Wir bröckelten es in die Milch, im kleinen
Aluminiumkessel auf dem kleinen, sehr heißen Kanonenofen, und es war
Himmel –
wie wir ihn uns in damaligen Zeiten vorstellten.
Wir waren am Leben. Da kam eine Frau ins
Lager, Gutes zu tun. Kinder waren in ihrem Herzen und ihrem Wollen. Sie
hatte keine eigenen, aber wollte die Kinder der Welt in Sicherheit
wissen. Eine gute Seele. Sie kam zu uns mittels des Lagerführers. Sie
war so voller Hilfe und Liebe für uns alle. Als sie erfuhr, dass Irma
Ella gut im Nähen war, gab sie ihr sofort Arbeit als Näherin bei sich
zuhause, denn sie war in der kümmerlichen Modeindustrie tätig. Nicht
dass ich sie verdamme, doch kinderlos, ungefähr in ihrem 50-sten
Lebensjahr, war nicht zu verhindern, dass sie nach einem Kind dürstete.
Wie es nun so kam, fand sie mich ganz fabelhaft. Ich kann ihr das auch
heute noch nicht verdenken, denn auch ich habe rege positive Gefühle
bezüglich meiner Person, die nach all den Jahren noch nicht ganz
verloschen sind.
Sie bestand darauf, dass Irma Ella, wann
immer sie zum Nähen kam, ihren Goldsohn Hanneput mitbrachte. Sie
überhäufte mich mit Sachen. Ich kann nicht mehr im Einzelnen an diese
erinnern, außer an die wunderbare, ganz neue, dunkelblaue Schihose, den
Pullover und das gute Essen, das wir von ihr vorgesetzt bekamen. Es muss
himmlisch gewesen sein.
Und dann kam der Tag, wo alles
zusammenbrach. Diese gute, einsame Frau wollte ein Kind. Und ich war
das, was sie nun mal wollte. Sie sagte, dass Irma doch so viele hätte,
und sie könnte doch so viel besser für mich sorgen, mit Liebe, mit
allem, was doch so gut für mich wäre in diesen schweren Zeiten.
Nun, Irma Ella war da ganz anderer
Meinung. Sie zeigte ganz klar, wie wertvoll ich auch für sie war, selbst
als gelegentlicher Schmerz im Hintern!
Irma verlor ihre Näharbeit, und ich hatte
den Pullover nebst allen anderen Gaben zurückzugeben. Ich weiß noch sehr
wohl, dass das Loch, das ich mir am Knie in die wunderschöne Schihose an
unserem Kanonenofen gesengt hatte, denn es war ja mittlerweile kalter
Winter, mich ganz und gar nicht mehr bekümmerte.
Ich schließe nun für heute, denn es geht
auf Weihnachten zu. Da habe ich auch etwas zu berichten. Weihnachten im
Lager in Berlin –
aber nicht jetzt! Wir haben ja noch nicht einmal den ersten Advent! Oder
bin ich da falsch gewickelt??
Übrigens habe ich mein Kanu in Berlin ins
Kriegsmuseum gegeben. Vielleicht muss ich nun auf Socken durch die
Erinnerungen schlurfen. Ein Pferd! ein Pferd!!! Meine Erinnerungen für
ein Pferd. Ich mach’s auch mit einem Esel und sicher viel sicherer und
besser.
Ach, ist es nicht wunderschön, das gehabte
Leben noch einmal so nahe zu sehn??!!!
Shit! I love it!!!!!!
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Flüchtlingslager
Berlin-Lichtenrade
Im Web findet sich viel über die Baracken in Berlin-Lichtenrade ... in
den 20-er Jahren waren dort russische Flüchtlinge untergebracht, während
der Nazizeit Zwangsarbeiter, nach 1945 Flüchtlinge aus dem Osten, danach
hat die Stasi dort agiert ..
...
bislang fand sich jedoch nichts Konkretes über die Flüchtlinge aus dem
Osten in den Jahren 1945 / 46 in den Baracken ....
... oder hat noch jemand
Dokumente und Photos aus der Zeit ???
Flüchtlinge aus dem Osten 1945 in Berlin
... so ähnlich werden die F. auch ausgesehen haben |