Heinz Mandey : Ungeordnete Erinnerungen -
Nickelswalde zwischen 1935 und 1958

Die Entwicklung ab 1950

Die Parteisekretäre wurden geschult, um die Bevölkerung auf die geplante Zwangsumstellung von Privatunternehmen in Staatsbetriebe vorzubereiten. Bei den Landwirten ohne Lust und Liebe zum Beruf gelang das sehr schnell. Ich könnte auch sagen sofort, zumal die von den deutschen Bauern vorgefundenen Arbeitsgeräte ihre Aufgaben nicht mehr erfüllten - es fehlte an Ersatzteilen. Wesentlich schwerer hatten es die Kommunisten bei den echten polnischen Landwirten, die es erstaunlicherweise bereits in wenigen Jahren geschafft hatten, sich von ihren Kollegen im bescheidenen Maße finanziell abzuheben. Es dauerte lange, diese Bauern zur Übergabe ihrer Betriebe mürbe zu machen. Die Kommunisten scheuten sich auch nicht, große Plakate mit farbigen Männergesichtern anzufertigen. Einmal war die Abbildung mit grünen Kopfhaaren, ein Schnurbart geteilt, linke Hälfte grün, rechte Seite rot. Am Plakatrand konnte man in polnischer Sprache in großen Buchstaben lesen „Ich bin ein KULAK". Das hieß so viel wie, ich bin ein Raubritter.

Von der Verstaatlichung blieb niemand verschont, weder im Handel noch in der Fischerei.

Veränderung der deutschen Namen

Nachdem die Kommunisten den erlogenen Satz veröffentlichten „Es gibt keine Deutschen mehr in Polen“ hatten sie plötzlich Stress mit den „versteckten“ Deutschstämmigen.

1952 und 1953 wurden die noch in Nickelswalde wohnenden Deutschen meist in Gruppen von drei bis vier Personen abends gegen 21 Uhr nach Schönbaum zur Polizei vorgeladen. Die späte Tageszeit diente dazu, vorab eine Gefügigkeit vorzubereiten, Einschüchterung. Es war bekannt, dass man entweder am späten Abend oder in der Nacht während der Razzien von angetrunkenen Polizisten ohne Grund verhaftet werden konnte. Aber hier trat plötzlich ein äußerst freundlicher Offizier der staatlichen Behörde auf. Als Zeuge war immer ein Zivilist zugegen, ein Parteisekretär.

Wir wurden einzeln aufgerufen. Mit überschwänglicher Freundlichkeit bat uns der Uniformierte, Platz zu nehmen. Man ging schnell zur Tagesordnung über. Ich wurde informiert, dass es den polnischen Behörden schwer fallen würde, meinen Namen zu lesen. Der Vorname Heinz würde zu Verwechslungen führen. Ob ich denn zustimmen würde, natürlich rein freiwillig, meinen Vornamen Heinz auf Henryk zu ändern. Ich erklärte, dass ich weiterhin Heinz heißen wolle. Nach meiner Antwort durfte ich den Raum verlassen. Als nächster wurde mein Vater aufgerufen. Ich konnte ihm noch mitteilen, worum es dort gehe. Mein Vater hieß Bruno Ernst. Er setzte sich auf den Stuhl. Es erfolgte vom Polizisten die Mitteilung, dass man Bruno nicht lesen könne und ob mein Vater mit dem Vornamen Bronislaw einverstanden wäre. Darauf erwiderte mein Vater mit hocherfreuter Stimme, dass ihm der Name Bruno nie gefallen hätte, Bronislaw würde ihm viel mehr zusagen. (Mein Vater hatte ja in russischer Kriegsgefangenschaft Gelegenheit gehabt, sich einiges an Taktiken anzueignen.)

Nach drei Tagen erhielten wir alle, die dort gewesen waren, von der Behörde eine schriftliche Benachrichtigung. Mein Vorname sei ab sofort Henryk und meine früheren Vornamen dürften nicht mehr erwähnt werden. Auch meinem Vater wurde sein neuer Vorname mitgeteilt: Bruno Ernest - was für ein verlogenes Theater!

Die Veränderung ab 1953

Die Situation der Deutschstämmigen veränderte sich sehr zügig im positiven Sinne, nachdem sich die politischen Beziehungen zur DDR gebessert hatten. Auf Antrag wurde es gestattet, Familienangehörige in der DDR zu besuchen. Aber auch in der BRD durften Verwandte besucht werden. Und umgekehrt war dies ebenso möglich. Diese Entwicklung war ein großes Entgegenkommen der damaligen Machthaber. Auch erhielten wir im Auftrage der Polnischen Post durch den Postboten offiziell mitgeteilt, es könne bei Interesse ab Mitte 1953 eine Zeitung in deutscher Sprache abonniert werden – die monatlich erscheinende

 

„Arbeiterstimme“. Gedruckt wurde diese ab 1951 in Schlesien. Ich erinnere mich noch an einen Witz: Als es mit dem Kinderkriegen bei Soraya nicht nach Wusch verlief schlug der Journalist vor, sie solle es mal mit einem Russen versuchen …. Etwas Humor kam schon auf. Auch illustrierte Zeitschriften aus Ostberlin konnte man in Gdansk / Danzig frei erwerben. Zudem wurden deutsche Filme gezeigt mit Willy Birgel, Hans Albers, unter anderem auch der Film „08/15“ mit Hans Joachim Fuchsberger. (Wikipedia: 08/15)

Der Beruf

Mein Vater hatte lange seine Hand über mich gehalten. Nun stand der Beruf an. Die Fischerei entsprach nicht meinen Vorstellungen, ich hatte andere Berufsvorstellungen, möglicherweise auch das Zeug dazu. Aber wie so oft im Leben kommt es anders als gewünscht. Ich fügte mich und wurde Fischer, ohne es zu wollen.

Zur "Arbeiterstimme" sowie den Umgang u.a. mit der deutschen Minderheit in den 50-er Jahren siehe Zbigniew Kurcz: Nationale Minderheiten im Gegenwärtigen Polen, No. 01/00, Frankfurter Institut für Transformationsstudien, Seite 4