Rückkehr zu einem fremden Volk.
dessen Sprache weder meine Mutter noch ich mächtig war
Die Vorbereitungen unserer Abreise nach
der Erledigung sämtlicher Formalitäten liefen. Eigenartigerweise
erschien meiner Mutter und mir die Bürokratie in einer abgespeckten
Form. Wir hatten den Eindruck, das polnische Konsulat in Lübeck brauche
nur noch die Einreiseerlaubnis meiner Mutter zu übergeben, alles andere
wäre bereits in Danzig geregelt.
Andererseits wuchs in meiner Mutter und
mir ein Unbehagen. Die Rückkehr war nicht unbedingt von uns beiden
gewünscht, wurde aber von meiner Mutter schließlich doch trotz starker
Bedenken akzeptiert. Schließlich war es der Ehemann und mein Vater, dem
es verwehrt wurde, an der Vertreibung zu uns in den Westen teilzunehmen.
Er wurde vom polnischen Staat festgehalten, um aus Ostpolen geflüchtete
und im Werder angesiedelten Polen die Fischerei beizubringen.
Unsere Rückfahrt verlief mit dem Schiff
zügig von Roststock bis Stettin. Unsere Mitreisenden waren rückkehrende
Polen, die in Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt worden waren.
Aber, wie ich viel später erfuhr, waren unter ihnen auch Polen, die
ehemals „freiwillig“ für Nazideutschland tätig gewesen waren. Die Polen
bemerkten sofort, dass meine Mutter und ich miteinander deutsch
sprachen. Meine ersten Prügel bezog ich, nachdem ich mich auf dem Schiff
weigerte, einem kotzenden polnischen Kind den Dreck wegzuwischen. Aber
letztendlich war dies bis zum Ende der Reise noch harmlos.
Nach der Ankunft im Hafen von Stettin ging
es mit dem Zug weiter nach Danzig. Vom Bahnhof in Danzig wurden wir
nicht abgeholt. Wie denn auch? Meinem Vater war mitgeteilt worden, dass
die Rückführung am 01.08.1947 stattfinden würde, aber wir waren bereits
Mitte Juni angekommen. Möglicherweise hatten die Polen noch einen alten
deutschen Kalender an der Wand hängen - wer weiß es.
Die Rückkehr zu dem Ort in dem ich geboren
worden war. Er hieß nicht mehr Nickelswalde sondern von 1945 bis 1946
Rybarkowo. Nachdem sich die Russen zurückgezogen und den Polen das
Gebiet überlassen hatten, wurde dann aus dem einstigen Nickelswalde
Mikoszewo.
An der Weichsel angekommen wurden meine
Mutter und ich plötzlich wortlos. Ohne Unterhaltung, nach dem Motto,
weder gehört noch gesehen werden, zogen wir durch das Dorf zu meinem
Elternhaus. Wir spürten plötzlich eine Beklemmung, die ich bis heute
nicht beschreiben kann. Schon in den ersten Tagen nach unserer Rückkehr
sah ich vieles, was mir fremd vorkam oder besser gesagt, was ich so
nicht gekannt hatte. Sehr schnell habe ich meine Tanten und Onkel
vermisst. Vor allem fehlten mir so sehr meine Cousins und Cousinen, mit
denen ich bis vor wenigen Tagen mein ganzes junges Leben gemeinsam
verbracht hatte. Sie waren für mich wie Geschwister gewesen. Ich fühlte
mich wie ein Welpe, den man zu früh von seinen Geschwistern entfernt
hatte.
Bis dahin mir unbekannt: Jeden Tag
liefen unzählige lamentierende betrunkene Polen auf der Straße. Ich
erlebte auch Polen, die auf ihre Ehefrauen einschlugen, damit sie auf
den Feldern arbeiteten.
Als Deutsche aus ihren Häusern vertrieben
wurden, gewährte man ihnen großzügigerweise oft bis zu bis 30 Minuten
Zeit, das Objekt zu räumen. Ob und gegebenenfalls was sie mitnehmen
durften bestimmten die neuen Besitzer. Einige Alteigentümer durften
wohlwollend noch draußen in den eigenen Gärten bis zum Abtransport
übernachten und sich eine warme Mahlzeit zubereiten (das Leben unterm
Apfelbaum). Zu diesen gehörte auch meine Tante mit Familie in Pasewark -
so hieß das Dorf bis 1945, danach Jantar. Als Gegenleistung für die
Großzügigkeit mussten die ehemaligen Eigentümer den neuen Bewohnern
täglich die Fenster putzen und die Innenräume säubern. Es gab ja nicht
so viel Staub, aber jeden Tag mussten leere Flaschen entsorgt werden.
Dahinter stand wohl die Hoffnung, dass je öfter diese Fenster und Räume
jetzt gereinigt werden würden, so bräuchten die neuen Besitzer es selber
nie mehr zu tun. Sie ließen auch die Kühe versorgen und ähnliche
Arbeiten verrichten. Die Neubesitzer lebten oftmals nach dem Motto,
nichts gesät und doch geerntet.
Die Besetzung des Dorfes mit Polen war gut
organisiert Sie waren schnell angekommen.
Für den Fischereiberuf waren überwiegend
junge Männer im Alter von schätzungsweise 18 bis 34 Jahren vorgesehen.
Viele von ihnen waren ledig, einige wenige verheiratet. Manche von ihnen
hatten durch die Naziverbrecher während der Okkupation Polens die Eltern
und Großeltern verloren, teilweise auch Geschwister. Ich habe sie im
Laufe der Jahre nach und nach kennengelernt. Für mich sind sie schwer zu
beschreiben. Es waren sehr ruhige Menschen. Rachsucht war ihnen fremd,
obgleich sie dazu ja ausreichend Anlass gehabt hätten. Einer dieser
jungen Männer wurde meinem Großvater zum Fischen zugeteilt. Mein
Großvater sagte oft, dass er sehr gelehrig sei. Da, wie alle anderen
Deutschen auch, meine Großeltern kein polnisch sprachen musste der junge
Mann deutsch lernen. Mein Großvater sprach dann nicht nur deutsch mit
ihm sondern auch das Werderplatt, das er in kurzer Zeit ausgezeichnet
lernte. Die Bindung zwischen meinen Großeltern und dem jungen Mann,
später auch mit seiner Frau und seinen Kindern, war sehr vertraut. Er
stellte auch die Frage, ob er zu meinem Großvater und zu meiner
Großmutter Vater und Mutter sagen dürfe, was er natürlich durfte. Bei
jeder Familienfeier auf beiden Seiten waren stets alle zugegen. Auch als
mein Großvater später in Westdeutschland lebte hielt er bis zu seinem
Tod regelmäßig Briefkontakt. Dieser einst junge Pole ist vor zwei Jahren
verstorben, aber seine Frau lebt noch heute in Mikoszewo / Nickelswalde.
Kleine Familienfeier bei
meinem Onkel Ernst Mandey im Jahr 1956
Das Zusammenleben der deutschen und
polnischen Fischer in Mikoszewo / Nickelswalde war im Allgemeinen gut.
Ich betone, mit den polnischen Fischern. Bei den Landwirten und bei
denen, die es sein wollten, sah es etwas anders aus. Möglicherweise
deswegen, weil sie meinten, auf Hilfe von den Deutschen nicht angewiesen
zu sein.
Der Gruß
Dies war noch vor unserer Rückkehr nach
Mikoszewo / Nickelswalde geschehen: Mein Vater und ein deutscher
Fischerkollege waren von der Weichsel kommend auf dem Heimweg und
unterhielten sich. Sie begegneten zwei angetrunkenen Polen, einem Bauern
und einem Schmied. Plötzlich wurden mein Vater und sein Kollege
angesprochen. Warum sie die zwei Polen nicht grüßten. Die Antwort war
wohl eine Entschuldigung, und sie holten die Begrüßung nach. Aber die
beiden Polen waren mit einem „Guten Tag“ nicht einverstanden. Sie
forderten, die Begrüßung mit einem „Heil Hitler“ zu wiederholen. Da mein
Vater und sein Kollege sich weigerten, dem Wunsch der Polen
nachzukommen, wurden beide ganz erbärmlich auf der Straße
zusammengeschlagen. Anschließend mussten sie zur ehemaligen Gaststätte
Herbert Krause mitgehen. Seitlich am Gebäude befand sich ein Saal
(welcher heute noch vorhanden ist) mit einer Bühne. Die beiden Polen
nahmen auf der Bühne Platz und mein Vater und sein Kollege wurde von den
Sitzenden aufgefordert, im Stechschritt im Kreis an den beiden vorbei zu
defilieren und mit „Heil Hitler“ zu grüßen. Doch jede Vorstellung geht
einmal zu Ende. Als die beiden Polen offensichtlich befriedigt waren,
gingen sie mit meinem Vater und seinem Kollegen „spazieren“. Der Weg
führte zu einem kleinen Bauernhof. Zu der Zeit als das Dorf noch
Nickelswalde hieß wohnte |