Auf dem Weichsel-Werder-Ring
Die Entdeckung der Langsamkeit im Jahr 2013


 

 

Über das Überleben ohne Smutje ...

Trotz aller Versuche, wir sind ohne Smutje unterwegs.

Marten hatte gleich nach seiner Interessensbekundung an der Bootsfahrt einen Speiseplan entwickelt: Mit Händen und  Füßen ausgerechnet, wie viele Tage wir auf dem Boot weilen, die Summe durch vier Köche geteilt ergibt: Jeder ist drei Mal mit dem Kochen dran; ich bin befreit, da ich ja den Trip so schön organisiert habe. Ein genialer Plan! Der mir zudem sehr entgegenkommt ... Er hat nur einen Haken: Er funktioniert nicht, kann nicht funktionieren ... weil niemand an Jugendherbergs- und Bundeswehrküchendienst Interesse hat. Der Plan landet deswegen auch still im Nirwana ...

Zuerst muss festgestellt werden, wer überhaupt wann was essen will. Alle ein kräftiges Frühstück, das ist klar. Mittagessen: Da wird es kompliziert: Ralf, Siggi und ich brauchen das gemeinhin nicht. Marten schiebt sich gerne etwas zwischen die Kiemen. Und wenn Wulf nicht täglich zwischen 12:43 Uhr und 12:47 Uhr etwas vor sich auf dem Tisch stehen hat, wird er - wörtliches Zitat - "unleidlich". Gott, bewahre ... Ergebnis: Mittags organisiert sich jeder nach seiner Façon. Abends ist dann Kochen angesagt.

Die gute Nachricht zuerst: Keiner verhungert, alle werden satt. Die schlechte Nachricht: (Mir fällt keine ein.)

Die Praxis: Marten führt uns seine "Kochkünste" vor - siehe unten. Immer wenn Grillen möglich ist, und das ist häufig, schwingen sich Wulf und Siggi zu unbestrittenen Höchstleistungen auf. Und Ralf und ich sind rein zufällig immer mit dem Kochen dran, wenn wir "außer Haus" Essen gehen ...

Da wir ja keine kulinarische Reise unternehmen wollen, schauen wir uns nach Eintopf in Dosen um, den wir mit Würstchen und Gewürzen anreichern wollen. In Supermärkten in Danzig und Elbing finden wir auch mühseligst welche, eine einzige Marke, bauchige Dosen, gut versteckt, kaum zu finden ganz unten in den Regalen, ganz gut genießbar  ... Doseneintopf scheint in Polen kein Renner zu  sein. Eintopf kann man auch selber machen ... sehr sympathisch.

Marten am ersten Abend: "Heute koche ich! Königsberger Klopse." - Bei uns zu Hause heißen sie "Saure Klopse". Es wird verkündet, dass nicht alle Ingredienzien aufzutreiben gewesen wären, es gehe aber auch so.

Marten werkelt eine ganze Zeit. Als die Mägen zu knurren beginnen, erschallt ein stolzes "Essen ist fertig!"

Es kommen auf den Tisch: Kartoffeln, tennisballgroße graue Klopse (zu groß zum Photographieren), eine weißliche Soße. "Wo sind denn die Kapern?" "Kapern? Da kommen keine Kapern rein!" Aber natürlich kommen da Kapern rein, Saure Klopse ohne Kapern ... ". "Nein, bei uns kommen da nie Kapern rein!" "Aber ... ". Also Saure Klopse ohne Kapern. Wir kämpfen schweigend mit den Tennisbällen und mit der weißlichen Soße, die nach allem möglichen schmeckt, nur nicht nach süß-sauer ... Bat jemand um einen Nachschlag? Ich weiß es nicht mehr, habe ich wohl verdrängt.

Mir fallen zwei Geschichten ein. Muddern Erna ließ sich von ihrer Schwiegermutter Ohmchen zeigen, wie man Saure Klopse macht. Als der erste Versuch auf dem Teller liegt, stellt Ehemann Horst fest "Bei meiner Mutter schmecken die aber anders!" Die rheinische Frohnatur: "Dann geh' doch zu deiner Mutter essen!" Danach gab es nie wieder Reklamationen ... und die Sauren Klopse waren herrlich.

In Joinville, im deutschstämmigen Süden Brasiliens, bestelle ich im Restaurant Pato Alemã / Deutsche Ente. Kartoffeln, Rotkohl. Das Vieh ist knochentrocken, die Füllung ebenso, kaum mit dem Messer durchschneidbar ... welch' Enttäuschung. Allmählich wird klar, da haben die deutschen Auswanderer das Rezept "Deutsche Ente" mitgebracht, irgendwann fehlen gewisse Ingredienzien, also macht man die Ente ohne diese, und im Laufe des Jahrhunderts geht die Kenntnis über das ursprüngliche Rezept verloren. - Ich schätze, so ist das mit den Kapern bei Martens Familie auch passiert ... denn Ohmchen machte die Sauren Klopse unter Garantie mit Kapern. Aber vielleicht mochten die martenschen Geschmacksbanausen ja keine Kapern ... und meinen deswegen heute, dass da keine hineinkämen ...

Das war's dann wohl mit den Sauren Klopsen, denn unser "Spiritus Sanctus" Restaurant in Danzig, in dem wir in den vergangenen Jahren Saure Klopse (in der Größe von Tischtennisbällen) mit einer herrlichen süß-sauren Soße gegessen haben - siehe hier - ist, wie Ralf feststellt, verschwunden. Die Räumlichkeiten beherbergen jetzt einen Friseursalon ... mein Gott Danzig, welch ein Niedergang ...

Spiritus Sanctus - 2010, 2013 ein Friseursalon