Auf dem Weichsel-Werder-Ring
Die Entdeckung der Langsamkeit im Jahr 2013


 

 

Auf der Weichsel nach Mewe / Gniew

 

Am nächsten Morgen fahren wir zu gegebener Zeit in die Schleuse ein. Solch hohe Schleusenmauern hatten wir noch nicht, wir fühlen uns ganz schön lütsch. Und dass der Schleusenwärter sich für die 7 Zloty zu uns herabbemüht, gab es auch noch nicht.

Nach der Schleuse folgt eine leichte Rechtskurve Richtung stromabwärts. Die Strömung erfasst das Boot, es wird schneller, Wulf dreht am Ruder, die Bootsspitze dreht nach Steuerbord, noch weiter, das Boot steht gegen den Strom. Gas geben, ein bisschen mehr als sonst, wir beobachten Natascha, ja, wir bewegen uns vorwärts. Geschafft! Und es war einfacher als gedacht. Uns fällt ein Stein vom Herzen. Die Strömung der Weichsel sah am Vorabend von oben viel stärker aus als sie jetzt in Wirklichkeit ist. Sie macht dem Motörchen keinerlei Probleme.

Nun heißt es aufpassen. Łukasz hatte uns länger erläutert, was es mit den Schifffahrtszeichen am Ufer auf sich hat. Das Erste bedeutet, dass man auf seiner Seite fahren muss, das Zweite, dass man auf die andere Seite zu wechseln hat. Dort sucht man wieder das Erste, fährt bis zum Zweiten und wechselt wieder die Seite. Wie gut, dass wir ein gutes Fernglas dabei haben, manche der Zeichen sind nicht leicht zu identifizieren. Einfach geradeaus durch den Fluss zu fahren geht nicht, weil der Hauptstrom zwischen einem Meer an Sandbänken mäandert. Bis Mewe wechseln wir circa acht bis zehnmal die Seite.

Nach etwas mehr als zwei Stunden tauchen am Horizont die Turmspitzen der Burganlage von Mewe auf.

Ich hatte mich immer gewundert, warum ich auf der Weichsel nie kommerziellen Schiffe sah. Jetzt weiß ich warum: Dieses Labyrinth an Sandbänken ohne ausgebaggerte Fahrrinne ist einfach nicht schiffbar. Die Weichsel dient offensichtlich ausschließlich der Entwässerung Polens. Warum? In Deutschland und etlichen Nachbarstaaten sind sämtliche größeren Flüsse schiffbar und mit Kanälen verbunden. Die Binnenschifffahrt ist bis heute konkurrenzfähig gegenüber Eisenbahn und LKW. Und hier verzichtet man darauf ... Das war mal anders: Als Polen im 16. bis 18. Jahrhundert Weizenversorger für Westeuropa war, wurde dieser per Binnenschiff nach Danzig geliefert. Dort saßen die Danziger Pfeffersäcke und strichen eine kräftige Monopolmarge ein: Die polnischen Weizenanlieferer durften ihren Weizen nicht direkt einem ausländischen Kapitän andienen, sondern nur einem Danziger Kaufmann. Das nannte man das "Goldene Zeitalter", in dem die Kaufleute dominierten, mit der Konsequenz, dass sich in Danzig auch im 19. / 20. Jahrhundert nie ein Unternehmertum entwickelte.

Thorn war Hansestadt. Fuhren bis dorthin die Koggen?

Noch in den 30- / 40-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde Holz die Weichsel hinunter bis in die Tote Weichsel getreidelt. Und Martens Vater war Chef der Bromberger Schleppschifffahrtsgesellschaft in Bromberg. Bedeutet das, dass während Polens kommunistischer Zeit der Fluss als Verkehrsweg aufgegeben wurde? Viele Fragen - alle, die ich in Polen danach frage, beginnen nach kurzer Zeit zu schwimmen ...

Mewe: Von der im Prospekt angekündigten Fähre ist weit und breit nichts zu sehen. Schon im Winterschlaf oder aufgegeben?  Wir können also nicht der Empfehlung folgen, am von uns aus gesehen linken Ufer festzumachen und mit der Fähre überzusetzen. Statt dessen ist ein Plätzchen am rechten Ufer zu suchen. Wir finden ca. 200 m südlich von der Fährrampe eine sandige Minibucht, steigen mühseligst aus, klettern den verbuschten Hang hinauf ... und landen im Niemandsland. Hier geht's nicht weiter. Nachdem wir auch den verlorenen Sohn Marten im Gebüsch wieder aufgetrieben haben legen wir ab. Die schmale Einfahrt, aus der wir eine Gondel haben kommen sehen, trauen wir uns nicht anzufahren. Hinein kommen wir womöglich, aber  auch  wieder heraus? Später sehen wir, dass wir sie durchaus hätten benutzen können. Letztendlich machen wir nahe an der Fährrampe fest.