In Halle angekommen
wurde mein Vater am 31. 0ktober 1828 durch den Prorektor Professor
der Jurisprudenz Christian Friedrich Mühlenbruch in die Liste der Studierenden
eingetragen.
Es war das die
Zeit,
in der die Verbindungen unter
den Studenten mit argwöhnischen
Augen angesehen,
in der namentlich die Burschenschaften verfolgt wurden, weil die
deutschen Regierungen fürchteten,
daß sie ihre Mitglieder zu demagogischen Umtrieben und
staatsgefährlichen Taten anreizten.
Mein Vater
mußte sich daher in Halle und auch zwei Jahre später in Berlin bei
seiner Immatrikulation
durch Namensunterschrift verpflichten,
bei Vermeidung
der
Relegation und
späterem Ausschluß von allen öffentlichen Ämtern sich von jeder
Teilnahme an einer “nicht autorisierten" Verbindung fern zu halten.
Interessant ist
besonders der Eingang des gedruckten und durch Unterschrift vollzogenen
Auszugs aus der für die Königl. Preußischen Staaten publizierten Königl.
Bekanntmachung vom 18. Oktober 1819 für die
Art der Beurteilung, der man die Burschenschaft damals unterzog. Unter
den Anlagen befindet sich dieser
Auszug unter
der Nr. 14.
Die Wohnung meines
Vaters während seines zweijährigen Aufenthalts in Halle befand sich in
dem Hause der Großen Klausstraße Nummer 878.
Da er mit einem
sehr guten
Zeugnis 2.
Grades
cum
laude
vom Danziger Gymnasium
zur Universität entlassen war und er auch einen
Nachweis beibringen
konnte,
daß
ihm
die Mittel zum Studium fehlten,
(Nr.8
der
Beilagen)
erhielt
er gleich
im
1.
Semester
mancherlei Vergünstigungen;
vor allem ward
ihm die
Hälfte des
Betrages für die Vorlesungen erlassen.
Er
|
Friedrich Mühlenbruch |
belegte
im Laufe der vier
Semester theologische
Collegia
bei
Tholuck,
Ullmann, Thilo und Gesenius und
philologisch-philosophische
namentlich
bei Rosenkranz
und Ritschl,
von denen jener
später
in Königsberg, dieser
in Bonn
und Leipzig
zu großer
Bedeutung gelangen
sollten.
Mit wie
großem Interesse
und mit welchem Fleiße
mein Vater seine
Studien
betrieb,
davon
legten
seine
sorgfältig ausgearbeiteten
Kollegienhefte
rühmliches
Zeugnis
ab, welche sauber gebunden später einen
breiten Raum in seiner Bibliothek
einnahmen
und von denen
ich eines
diesem
Aktenstück beifüge.
Neben der wissenschaftlichen
Tätigkeit war es besonders die
Musik,
die meinem
Vater
während
seiner Studienzeit und
auch während seines
ganzen Lebens
immer
in hohem Maße
beschäftigte.
Schon in Danzig
hatte
er als Schüler, wie er
oben
selbst
berichtet,
oft Gelegenheit gefunden
als Sänger
sich
zu betätigen; in Halle war es nicht
anders.
Noch im Winter 1828/1829 wurde er Mitglied der Universitäts-Liedertafel,
die unter
dem Musikdirektor Staue in hohem Ansehen bei
den Hallensern stand (vergl. d.
Stammbuchblatt)
und von Anfang an fand der hohe lyrische Tenor
meines
Vaters allgemeine Beachtung, so daß er schon nach einigen Wochen seines
Aufenthalts auf der Universität gebeten wurde in einem Konzert in
Naumburg mitzuwirken
und in diesem Konzert eine größere Partie zu singen
hatte
und sich
seiner
Aufgabe
unter
Beifall entledigte.
Von natürlicher
Liebenswürdigkeit,
freundlichem
Humor und
angenehmen Umgangsformen gewann mein
Vater in Halle leicht einen größeren Freundeskreis,
in dem außer einigen
alten Danziger Schulkameraden, dem späteren Superintendenten Pohl in
Stüblau und dem späteren Pfarrer Herrmann in Braunsberg sowie dem
späteren ersten Prediger von St. Trinitatis in Danzig Wilhelm Blech (im
Volksmunde “Donnerblech"
genannt wegen seines gewaltigen Stimmorgans im Unterschiede zum Pfarrer
Blech zu St. Salvator
in Danzig) sich
namentlich die beiden Theologen Volkart und Blendinger,
zwei Bayern,
jener aus Lauf bei Nürnberg dieser aus Königsstein bei Sulzbach, sehr
nahe an ihn anschlossen, so daß sich für die Drei eine Freundschaft für
das ganze Leben heraus bildete,
für deren
Innigkeit manche Briefe aus späterer Zeit (vergl. Nr.5 der Anlagen)
Zeugnis ablegen.
Ganz besonders
zeichnete meinen Vater eine außerordentliche Liebe zu Gottes schöner
Natur aus, die er auch bis in die
letzten
Jahre seines Lebens hinein sich bewahrte.
Da ist es denn nicht
wunderbar,
daß er von
Halle aus in den Ferien sowohl allein als auch mit einigen der oben
genannten Freunde zu Fuß weite Reisen machte und einen großen Teil von
Deutschland zu Fuß durchwanderte. So hat er die nächste Umgebung von
Halle, Thüringen, den Harz,
das hessische
Bergland, den Rhein, den Schwarzwald, die Donau,
die Schweiz,
das fränkische
und das Fichtelgebirge genau kennen gelernt und über seine
Erlebnisse und die auf der Reise gewonnenen Eindrücke ein genaues
Tagebuch geführt, das diesen Aufzeichnungen beiliegt
und gelesen
zu
werden
verdient.
In Jena, das er
zweimal besuchte und wo ich, sein Sohn,
diese Worte
niederschreibe, traf er zu seinem höchsten Erstaunen Studenten, die auf
dem Markte ihre Pfeifen rauchten.
Wie haben sich
die Anschauungen von dem was sich
schickt und was nicht geziemend ist, in den Jahrzehnten geändert! Es war
in jener Zeit nicht üblich, daß die Studierenden während ihrer
Universitätsjahre zu den Ferien in die Heimat reisten; schon aus Mangel
an Verkehrsmitteln konnten die weiter
wohnenden
jungen Leute nicht daran
denken, die
Ihrigen auf kürzere Zeit zu besuchen. Als daher die zwei
Jahre, die für
den Aufenthalt
in Halle von
Anfang an in Aussicht genommen waren, ihr Ende erreichten,
siedelte mein
Vater unmittelbar darauf
nach Berlin
über, um auf der jungen Universität,
an der damals
in der theologischen Fakultät |
August Tholuck
Carl Christian Ullmann
Thilo - nicht als Dozent / Professor der
Universität Halle aufgeführt
Karl Gesenius
Karl Rosenkranz
Friedrich Ritschl
Siehe auch
Hochschullehrer (Halle (Saale))
der
Universität Halle-Wittenberg |
und
an der philosophischen Schleiermacher,
Neander und
Hegel lehrten, seine Studien fortzusetzen und abzuschließen.
Seine Wohnung
war in
Berlin an der Spandauer Brücke Nr. 4.
Vom Geiste Tholucks
ganz erfüllt, gehörte mein Vater
in
jener Zeit und wohl auch als junger Geistlicher der strenggläubigen
Richtung in der Theologie an.
In
einer theologischen Arbeit,
vielleicht
einer Seminararbeit,
die sich
erhalten hat: ӟber die Versuchung Christi"
tritt er
u.a.
Schleiermacher,
der die von Matthäus und Lukas erzählte Geschichte für
eine
Parabel hält,
scharf entgegen
und erklärt,
daß der Christ
an einen
persönlichen Teufel glauben müsse und daß der Teufel in leiblicher
Person Christus versucht habe; ebensowenig wie es einem einfallen könne,
die Engel nicht
als Persönlichkeiten
sich zu denken, ebensowenig dürfe
man an der Person des Teufels zweifeln.
In seinen späteren
Lebensjahren urteilte mein Vater
in
theologischen Dingen viel milder als in seiner Jugendzeit; manche
Gedanken der freieren Richtung ließ er gelten,
obschon er
immer der positiven Union, vielleicht
der heutigen älteren
Gruppe der positiven
Union, zugezählt werden mußte, welche Freiheit der Forschung für jeden
Theologen und Freiheit der Lehre auf der Universität fordert.
Über den äußeren Gang
seines
Lebens in den Jahren, welche der Universitätszeit folgten, hat mein
Vater in seinen Aufzeichnungen (A) selbst das Wichtigste mitgeteilt.
|
Friedrich Schleiermacher
August Neander
Georg Wilhelm Friedrich Hegel |