Lebensberichte & Familienchroniken
Ernst Leberecht Wüst:
Familienchronik : Über Carl Theodor Gotthilf Wüst
(1808 Danzig - 1876
Güttland)
Pfarrer zu Pröbbernau
auf der Nehrung und zu Güttland,
Landkreis Dirschau
- geschrieben von seinem Sohn
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12.2019
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Die Übersiedlung von
Pröbbernau nach Güttland im Danziger Werder war in jedem Bezuge für die
Eltern von großer Bedeutung. Schon äußerlich bekam die ganze Wirtschaft
einen höheren Zuschnitt: Pferde und Wagen wurden gehalten, Pflüge und
Eggen, Kühe und Schweine wurden angeschafft und alles, was zu Ackerbau
und Landwirtschaft nötig war. Die Haupteinnahme meines Vaters auf der
neuen Stelle bestand in den Erträgen größerer Ländereien, die wie alles
Land in der fruchtbaren Niederung alter Marschboden waren. Von der Höhe
der Getreidehalme beispielsweise, die dort Jahr aus Jahr ein dem fetten
Boden entsprießen, besonders der Roggenhalme, kann man sich einen
Begriff machen, wenn man erfährt, daß zu jener Zeit, da man den Wert des
Strohs im Betriebe der Landwirtschaft offenbar noch nicht richtig
einschätzte, die Halme in der Ernte, nur zu zwei Dritteln mit den
Sicheln (nicht Sensen) geschnitten wurden und das letzte Drittel noch so
hoch stehen blieb, daß es im Spätherbst, nun mit Sensen bis auf den
Boden abgemäht den Besitzern der Höfe und den Instleuten noch das
Feuerungs- und Heizmaterial für den ganzen Winter lieferte. Auch in
meinem Elternhause wurden noch in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts
die meisten Öfen, deren Feuerung auf einen gemeinschaftlichen Hausflur
mündete, mit Stroh, d.h. den vorhin erwähnten Stoppeln geheizt.
Stundenlang, vom frühesten Morgen bis in den Vormittag
hinein, saß ein Mädchen, das “Päsermädchen", in dem Flur auf niedrigem
Schemel, umbaut von einem Stoppelhaufen, und schob mit rastloser
Ausdauer erst in den einen, dann in den zweiten, dann in den dritten
Ofen usw.
ein Strohbündel, um, sobald
die lodernde Glut sich in ihm senkte,
auf die
glimmenden Funken ein neues Strohbündel zu schieben, wobei es sich einer
großen Ofenkrücke bediente.
Die Arbeit des
Heizens war sehr langwierig, es wurde aber eine anhaltende gleichmäßige
Wärme in den Zimmern erzielt. Später wurde diese Art des Heizens
erheblich eingeschränkt und ist jetzt wohl überall
im
Werder verschwunden.
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Kirche von Güttland
aus Zirkwitz (1940) |
Ausschnitt aus "Spezial Riss
über das Dorf Gütland in Danziger Werder auf Hohen
Befehl
Gemessen A. 1774 von Magnus Skepsgard Lieutnant der
Artillerie"
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin
Bestand: Allg. Kartensammlung d. Hist. Staatsarchivs
Königsberg
Signatur: XX. HA, A 10193"
Ausschnitt aus der "General
Karte von
Der Danziger Elbinger und Marienburg Niederung
Aus speziellen Vermessungen zusammengetragen, nebst Situation
der
angrenzenden Höhe, welche aus der Topographischen Aufnahme
herangetragen werden, gezeichnet durch Hesse im Jahre 1803/4"
Messtischblatt 1 : 25000 von 1909
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Auf die Dauer behagte
meinen Eltern der Betrieb einer größeren
Landwirtschaft
nicht;
es fehlten ihnen doch
die nötigen landwirtschaftlichen Kenntnisse, es fehlten ihnen die
Fähigkeit, Knechte und Arbeiter richtig zu beschäftigen und die Zeit und
Lust, deren Tätigkeit zu regeln und zu beaufsichtigen; die Ländereien
wurden verpachtet und nur ein Kutscher und zwei Pferde gehalten und an
sonstigen Haustieren nur soviel als es die Hauswirtschaft auf dem Lande
erforderte. Eine andere ganz eigenartige Einnahme, auf welche der
Pfarrer von Güttland auf Grund seiner Bestallung Anspruch hatte,
bildeten die Kalende und der Dezem,
indem
jeder Besitzer des Kirchspiels, also jeder Besitzer von Güttland sowie
Freiwalde (auf der linken Seite der Mottlau, Kriefkohl gegenüber) und
Czattkau, die zur Güttländer Kirche gehörten, alljährlich zu bestimmten
Zeiten - namentlich zu Ostern - Abgaben an Getreide, an Fleischwaren,
Eiern, Butter und Bichten zu leisten hatte. Aus der Beschaffenheit des
Korns, aus der Beschaffenheit der Schweinsköpfe und Schinken, aus der
Länge und Dicke der Würste konnte man auf das freundliche oder weniger
gute Verhältnis schließen, in dem Pfarrer und Gemeindeglieder standen.
Wer an dem zu
liefernden Schweinefuß noch den ganzen Schinken unabgetrennt in das
Pfarrhaus sandte, wer den zu liefernden Würsten freiwillig ein Rippspeer
beilegte oder statt eine Mandel Eier deren zwei Mandel schickte, mußte
wohl des Pfarrers und der Frau Prediger Freund sein, wer dagegen
minderwertiges Korn, dünne Würste und mageres Fleisch lieferte, zeigte
damit ein Übelwollen, vor allem aber seinen Geiz.
Diese unwürdige Art,
die Arbeit des Geistlichen zu entlohnen, aus dem Mittelalter stammend
und in allen östlichen Provinzen der Monarchie üblich, hörte in späterer
Zeit, zu Anfang der 70er Jahre, auf und an Stelle der Naturalien trat
ein Geldbetrag, der nach dem Durchschnitt der Preise in längerer
Zeitdauer berechnet wurde.
Länger als 25 Jahre
war es meinem Vater beschieden in der Güttländer Gemeinde zu wirken, und
als er am 16.
Mai 1875, dem
ersten Pfingstfeiertag,
in
der Kirche sein 25 jähriges
Amtsjubiläum als
Pfarrer der Gemeinde feierte, ein Fest, das vor ihm zu Güttland nach
Ausweis der vorhandenen Urkunden nur noch ein einziger Pfarrer,
mit Namen Trosin,
am Anfange des
18. Jahrhunderts gefeiert hatte, konnte er mit Dank gegen Gott es
aussprechen, daß er das ganze Vierteljahrhundert in Frieden
und Eintracht mit der Gemeinde zusammen gelebt
habe. Eine wertvolle Festgabe, welche
ihm
die Besitzer der Gemeinde am Jubiläumstage übergaben, legte Zeugnis
davon ab,
daß mein Vater in der
Gemeinde sich Achtung, Vertrauen und Liebe zu erwerben gewusst hatte.
Das amtliche Leben und das äußere Leben
in
der Familie verlief während aller dieser Jahre so, wie es unter gleichen
oder ähnlichen Verhältnissen zu verlaufen pflegt:
Sonnige Tage
wechselten
ab mit trüben,
Freud und Leid
kamen und gingen.
Der kirchliche
Sinn freilich erwies sich in der Güttländer Gemeinde nicht so kräftig
und wohltuend wie in der Gemeinde Pröbbernau: Der Kirchenbesuch war
zeitweise und im allgemeinen nur schwach, einzelne Besitzer hielten sich
geflissentlich vom kirchlichen Leben fern, andere vertraten lockere
Anschauungen im ehelichen Leben, Völlereien unter den Knechten des
Dorfes im Kruge und in der Hakenbude veranlaßten, zumal an den
Sonntagen, Ausschreitungen; Verfehlungen gegen das sechste Gebot waren
zahlreich und wurden nachsichtig beurteilt - alles das erregte anfangs
meinen Vater in hohem Grade, und er suchte hier und da einzuschreiten
und zu bessern; es zeigten sich solche Bemühungen jedoch im allgemeinen
als fruchtlos, zum Teil auch deshalb, weil eine große Anzahl der
Dorfbewohner katholisch war, auf die mein Vater natürlich keinen Einfluß
ausüben konnte. Schließlich sah mein Vater, der in der früheren Gemeinde
in kirchlichen und moralischen Dingen offenbar verwöhnt worden war,
ein, daß die
sittlichen Verhältnisse nicht schlimmer waren als überall im Danziger
Werder und auch in der Provinz; er gewöhnte sich daher, an die
Beurteilung der sittlichen Zustände seiner Gemeinde
allmählich einen milderen Maßstab anzulegen und fühlte sich dadurch in
seinem Gemüt auch nicht mehr beschwert.
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Die Besitzer des
Dorfes Güttland hießen, als mein Vater daselbst Pfarrer war,
folgendermaßen: Schröder, der sein Besitztum bald an Schlubach (Ehemann
meiner Kusine Minna geb. Tomier) verkaufte, Ortmann, Heinrich Wannow
(Ehemann meiner Kusine Luise geb. Bulcke), Eduard Wannow, Halbe
(Großvater des Dichters “der Jugend", Max Halbe), Lau, dessen Witwe
später Malzahn heiratete, Bulcke (der Bruder meiner Mutter mit Namen
Richard), Haselau; daneben als kleinere selbständige Eigentümer :
Kukowski, Jelinski u.a.,
Lehrer waren
damals in Güttland Marschalk (der Großvater des Komponisten Marschalk)
und später Klatt, in Czattkau v. Zeddelmann.
Dafür gestalteten sich
die gesellschaftlichen Beziehungen in Güttland sehr erfreulich. Durch
wöchentlich einmal stattfindende Zusammenkünfte, die der Reihe nach
unter dem Namen "Kränzchen"
in den
einzelnen Familien der Besitzer und auch in meinem elterlichen Hause
veranstaltet wurden, durch Besuche bei den Amtsbrüdern im Werder und
deren Gegenbesuchen, durch regen Familienverkehr
namentlich mit
dem Pfarrer Worzewski in Osterwick, und dem Schul- und
Universitätsfreunde meines Vaters, dem Superintendenten Pohl in Stüblau,
durch häufige Fahrten nach Danzig
zum Besuche der zahlreichen Verwandten und Freunde kam Leben, Bewegung
und Abwechslung in reichem Maße in das elterliche Haus, das durch seine
Größe, seine zahlreichen geräumigen Zimmer, seinen schönen Garten allen
Ansprüchen genügte und durch Gastfreiheit der Eltern in weiteren Kreisen
bekannt und beliebt wurde. Dabei wuchsen die Kinder heran, die Söhne
mußten z. T. in Danzig in Pension gegeben werden, die Töchter fuhren
wöchentlich einmal zu Privatstunden Klavier-
und
Gesangstunden nach
Danzig, alles das erforderte den Aufwand erheblicher Geldmittel, und die
Ausgaben wurden noch größer und fühlbarer, als die vier Schwestern eine
nach der anderen heirateten und von den Söhnen einer, der Schreiber
dieser Worte, die Universität bezog, ein anderer sich dem
Kaufmannstande, ein dritter die militärische Laufbahn einschlug und der
vierte sich auf das Ingenieurfach vorbereitete; nur einer von den
Söhnen, der älteste, Karl, der
Landwirt wurde,
verursachte den Eltern verhältnismäßig geringe Kosten.
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aus Wannow 1996 |
Ausschnitt aus der Genealogischen Karte "Westpreussen
Nord"
mit freundlicher Genehmigung von Fritz Schulz - mehr
Güttland / Koźliny - Danzig / Gdansk ca. 33 km |
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